Beim dem hier geführten Interview handelt es sich um ein Gespräch mit Peter Brasch, welches am 16.11.1990 bei ihm zuhause von Jeffrey M. Peck (Peck) und Martin Pátek (Pátek) durchgeführt wurde. Dem Interview geht ein weiteres voraus, das bereits am 14.08.1989 mit Peter Brasch geführt wurde. Das hier gezeigte Video wurde im Rahmen der Produktion des Dokumentarfilms „Chronik einer Rückkehr. Lebenswege deutscher Juden in der DDR“, welcher 1993 veröffentlicht wurde, aufgenommen. Ausschnitte des Interviews finden im Dokumentarfilm Niederschlag.
00:00:02 Jeffrey M. Peck (Peck): Wir haben uns das letzte Mal getroffen im September 89, zwei Monate vor der sogenannten Wende und wir besprachen das Thema Identität. Im September hast du uns gesagt, Bezugsidentität: ich bin erstens Bürger der DDR, zweitens bin ich Deutscher, drittens bin ich Jude, aber die Reihenfolge stimmt so. Würdest du das auch heute uns sagen?
00:00:30 Peter Brasch (Brasch): Wie gesagt, ich muss die Frage zweimal beantworten, einmal mit meinem Kopf und einmal mit meinem Gefühl. Rational gibt es, das zu begründen, die DDR gibt es nicht mehr, die gibt es nicht mehr seit 3. Oktober. Deutsch schreibe ich und deutsch verständige ich mich mit Leuten im meinem Umfeld, das heißt, die Umgebung war wichtig, die Umgebung hat sich äußerlich verändert, ne, also wir sind jetzt Bundesrepublik und alles was hier auf dem Tisch ist, ist Bundesrepublik. Was jüdisch sein betrifft ist, da geht‘s ohne Politik nicht ab, mittlerweile, also, jüdisch sein ist eine Lebenshaltung, glaube ich, für mich immer mehr geworden auch in diesem Jahr, das heißt nonkonformistisch zu sein, das heißt das dann für mich und wenn ich die Frage ganz emotional beantworte lachen dann muss ich sagen: für mich ist die DDR, erst DDR geworden seit es sie nicht mehr gibt. Das ist sicher sehr sehr schwer zu verstehen, aber wenn man sich mit Geschichte auseinandersetzt, kann man diese vierzig Jahre DDR nicht einfach so den Bach runtergehen lassen. Das ist Geschichte und Menschenleben dauert vielleicht 75 Jahre, wenn es lange dauert oder 85 und da sind 40 Jahre eine ganze Menge und ich bin hier geboren in einem Land, das hieß DDR. Und das heißt immer noch DDR. Die Leute ändern sich ja nicht von einem Tag auf den anderen. Und all das zusammen kann ich eigentlich nur noch so beantworten wie ich es damals auch beantwortet habe. Also man kann das nicht trennen, man kann den Kopf nicht trennen vom Gefühl und so. In den Zeiten, in den wir leben, wo Polizisten uns gegenüber stehen, die kommen fünfhundert Kilometer, von fünfhundert Kilometer weiter weg, mit den hatten wir nichts zu tun, wir hatten damals die Bullen Polizisten vor Augen, die waren aber aus, hatten genau so viel Angst wie wir, ne? Und das, das glaube ich das Problem. Also ich würde die Frage so, wieder eigentlich so beantworten, wie, wie damals. Nur die Umstände haben sich geändert, ich hab mich nicht geändert.
00:03:31 Peck: Im September 89 haben wir auch über Heimat gesprochen und du sagtest uns, nein, ich weiss nicht, also Heimat bedeutet für mich überhaut nichts, also ist kein Ort, kein Land, oder so und da wir gesprochen haben über Herkunft und Wurzeln und so, glaube ich, dass Wurzeln, dass wir wurzellos sind. Was würdest du jetzt zur Heimat sagen?
00:03:59 Brasch: Um das konkreter zu machen, was ich damals gesagt habe, würde ich sagen: Heimat ist eigentlich für jeden Menschen nur das die Umgebung, also die Leute mit den man kann, mit den man arbeitet, mit den man lebt, aber ist nicht ein abstrakter Begriff. Das, um das konkreter zu machen, was ich damals gesagt habe. Jetzt, scheint sich dieser Begriff überhaupt aufzulösen, um es mit einem Satz zu sagen, ich fühle mich eigentlich nicht nur heimatlos sondern ich fühle mich jetzt auch noch staatenlos. Das ist..., und um die Beziehung zu der jüdischen Herkunft wieder zu kriegen, das scheint ein typisches jüdisches Problem zu sein. Oder nicht nur jüdisches auch für andere Völker spielt das vielleicht auch ne Rolle. Versprengt zu sein in der Welt, also mir ist es mittlerweile egal, wo ich leben werde. Nicht, wo ich lebe, damals war‘s klar, das war die DDR, aber mittlerweile ist es mir so ziemlich wurscht, ich möchte nur mit den Leuten arbeiten und mit den Leuten leben mit denen ich auch richtig leben und arbeiten kann. Da ist mir egal, ob jemand Amerikaner oder Franzose oder Engländer oder Pole oder Tscheche oder Slowake ist. Ist mir wirklich egal, darum geht‘s. Und Heimat ist Arbeit, das habe ich damals auch gesagt.
00:05:40 Martin Pátek (Pátek): Kann ich, eine ganz kurze Frage: Also eigentlich damit willst du sagen, dass dein Empfinden als Jude hat sich noch bestärkt?
00:05:48 Brasch: Ja, natürlich.
00:05:49 Peck: wir müssen das versuchen, ich werde das jetzt fragen, dass das jetzt stärker herauskommt, ne. Also fühlst du dich jetzt als Jude anders als im September 89?
00:06:07 Brasch: Ja, ich fühle mich mehr als Jude. Also als Jude ist so ein Begriff, ne, also ich fühle mich also mehr als Nonkonformist als ich das im September, obwohl ich damals schon war, 89. Daran hat sich, so fern, es hat sich nur modifiziert, die Umstände haben sich geändert, ja?
00:06:46 Peck: So, dein Vater ist gekommen aus der Emigration aus England, in die DDR. Wie fühlst du dich jetzt in dem Land in das dein Vater bewusst nicht gegangen ist, jetzt das deinige ist?
00:07:00 Brasch: Das ist nicht das meinige. Das ist nicht mein Land. Mich hat niemand gefragt, ob ich Bürger der Bundesrepublik Deutschland werden will. Deshalb habe ich ja vorhin gesagt, ich bin seit 3. Oktober staatenlos.
00:07:18 Pátek: Das ist klar, aber wie findest du die Situation, wir finden nämlich, dass diese Situation nicht nur für deinen Vater, übrigens für die ältere Generatation, die aus der Emigration zurückgekehrt ist es jetzt finden wir sehr widersprüchlich, weil die eigentlich die sind bewusst in Ostteil Deutschland gegangen, nun jetzt, jetzt sind die im Lande, wohin die genau nicht wollten, eigentlich.
00:07:39 Brasch: Ja, das
musst du die fragen, nicht mich. mehrere Stimmen sprechen
gleichzeitig ja, das stimmt, ....
Brasch: Das musst du die
fragen, mein Vater ist im
August 1989 gestorben. Er hat also noch die Kurve
gekriegt vorher. Es gibt aber noch Leute, die leben. Und die kann man jetzt also
locker vom Hocker ohne Geschichtsbetrachtung durch den Dreck ziehen, ob das
Honecker ist, gut
o.k., ja, dass die Politik falsch war das wissen wir aber seit 1953, hat Rudolf
Herrnstadt
1953 hat vom demokratischen Sozialismus gesprochen. Und,
äh, also lange, lange vor Dubček ne?, na ja und?, 1966 ist
er Rudolf Herrnstadt
gestorben als Archivar in Halle
an der Saale. Kennt übrigens keiner und will auch keiner mehr wahr
haben, was deutsche Geschichte ist. Und das, das schmerzt mich am meisten. Diese,
diese diese Gechichtslosigkeit dieses, dieses Volkes, was eigentlich eine hat. Die
amerikanische Geschichte beginnt irgendwann, vor, vor über etwas über zwei hundert
Jahren, das ist doch eine ganz andere Frage. Und deshalb wird das Wort deutsche
Identität auch missbraucht. Wie kann man denn, oder DDR-Identität, wie kann man
identisch sein mit einem Staat, das geht doch gar nicht, man kann mit sich selber
identisch sein. Und mit sich selber identisch sein ist schon es klingelt ist schon ein schwerer Prozess, so. Pause
00:09:37 Und deshalb ist die Frage nach Identität, ob jüdisch - deutsch oder DDR, für mich ne Frage eben Identität ist für mich ein fragwürdiges Wort. Weil identisch kann man was ich vorhin gesagt habe, identisch kann man Peter Brasch wird unterbrochen, da sein Mikrofon fehlte.
00:10:09 Brasch: Identität, das habe ich ja vorher schon gesagt, Identität ist kann man nur versuchen mit sich selber zu kriegen, das ist schon ein schwieriger Prozess, also mit seiner Arbeit, oder mit dem was man tut, aber nicht mit einem Staat und nicht mit der Nationalität. Das halte ich momentan für sehr schwer, deshalb bin ich auch nach wie vor gegen die Wiedervereinigung Deutschland. Weil alles versucht jetzt eben mit sich selber ins Reine zu kommen, ob das gewaltfrei passieren kann, wie vielleicht bei den baltischen Sowjetrepubliken oder ob es so ausgehen muss wie sich in Jugoslawien jetzt ankündigt, oder in den, zwischen Aserbaidschan und Armenien, ich glaube dass, wenn man bisschen klug ist und wenn man bisschen nachdenkt, dann, ist das ein Prozess, der eigentlich Menschen zuwider läuft. Ich glaube nicht, dass jemand ein Bürger der Stadt Stralsund etwas mit einem Bürger der Stadt Saarlouis zu tun hat. Und dass deutsche Geschichte geht nun mal zurück bis dem Gang nach, bis zum Gang nach Canossa. Und da gab‘s das nicht mehr. Da gab es kein Deutschland und immer wenn es Deutschland gab, dann hat sich Größenwahn mit Minderwertigkeitskomplex gepaart. Und das haben wir zweimal erlebt in diesem einem Jahrhundert und das ist nicht viel in der Geschichte.
00:11:47 Peck: Aber glaubst du nicht, dass diese Frage der Identität oder deutsche Identität doch schärfer geworden ist, seit der Wiedervereinigung?
00:11:52 Brasch: Ja, sicher, weil viele Leute fragen sich das, aber viele Leute verdrängen das auch. Ich meine deshalb kommt‘s zu solchen Sachen wie, dass, dass junge Menschen, ich sage das mal ganz ganz freundlich, junge Menschen, die Polizisten sind und aus dem Rheinland, Nordrhein-Westfalen kommen oder aus Niedersachsen in eine Stadt kommen, die sie eigentlich gar nicht kennen, und Leute zusammenprügeln, die aus dieser Stadt sind und wo ist da die Identität, also wo kommt die her?, bestimmt ist die Frau, die unter den Polizisten ist mit ihrem blonden Pferdeschwanz, eine ganz symphatische Frau, wenn sie nicht den Helm auf hat und bestimmt ist der Vermummte, sogennante Autonome, ein anderer Mensch, wenn man mit ihm alleine redet, aber, man macht aus Völkern langsam Rotten und das ist schlimm und wir stehen kurz, wir stehen wirklich kurz vor, wirklich kurz vor Weltkrieg, wenn das so weiter geht, wenn die Leute nicht anfangen zu denken und wenn sie nur noch Agression in Aktion umsetzen. Das heißt also, sich nicht mal die Mühe machen oder die Zeit nehmen nachzudenken, wer sie selber sind. Und nicht zu welchem Volk sie gehören oder zu welchem Staat sie gehören sondern einfach wer sie selber sind, das scheint mir das Wichtigste zu sein.
00:13:21 Pátek: Darf ich nur ganz kurz? Du hast letztemal auch gesagt ganz interessante Sache, dass eben die Gesellschaft, die sich nicht Frage selber stellt ist auf dem ist irgendwie auf dem Weg zu verkommen, das fand ich sehr interessant in den Zusammengängen damals, ja weil das passierte nicht in der DDR. Aber ich glaube ein bisschen, dass es doch ein bisschen diesen Weg kann man in der BRD spüren jedenfalls die Gesellschaft ist nicht homogen und viele stellen sich verschiedene Frage also da sehe ich das vielleicht das Gefahr nicht so streng, irgendwie. Was hälst Du davon? Weil eigentlich du sagst, als ob die, die BRD-Gesellschaft ganz homogen wäre, aber das ist eben nicht.
00:14:01 Brasch: Nein, das habe ich nicht gesagt, sie ist nicht homogen.
00:14:04 Pátek: So habe ich das verstanden jedenfalls.
00:14:06 Brasch: Ich glaube, ne ne, also ich, homogen ist die bestimmt nicht, weil sie kann nicht auf der einen Seite brüllen, wir wollen ein Europa werden, eine Idee, die ich vollkommen abstrus finde, also genauso wie die Wiedervereinigung abstrus ist, ist die Idee einer europäischen Einigung für mich abstrus, weil dann gibt es ein Zentrum, das heißt dann wieder Deutschland. Und dann gibt‘s aber Portugal grinsen an der Westseite Europas und Polen oder, um noch weiter zu gehen, die Sowjetunion oder Russland, als bröckelnde Systeme rechts und links, ne, also das sage ich jetzt mal geografisch. Und wenn man aber zur gleichen Zeit nicht Leuten das Wahlrecht gibt in einem Zentrum von Europa, sondern sagt nur deutsche Staatsbürger haben das Recht zu wählen, wo man aber gleichzeitig weiß, es leben insgesamt, wenn man jetzt also Deutschland als eins betrachtet, ja, sechs Millionen Ausländer in diesem Land, also dann verstehe ich es gar nicht mehr, also von Homogenität ist da überhaupt nicht die Rede und wenn man noch andere Volks... andere Völker noch ausschließt, wie Sinti und Roma...schüttelt den Kopf
00:15:26 Peck: Das führt zu eine Frage bezugs Ausländer. Also, seit der Wende oder seit der Wiedervereinigung, merkt man, dass es in der ehemaligen DDR größere Ausländerfeindlichkeit oder Rassismus, oder auch sogar Antisemitismus gibt wie verstehst du das, oder diese ganze Änderung in der also in der ehemalige DDR, diese Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus?
00:15:57 Brasch: Ich glaube nicht, dass das ne Änderung ist, es kommt nur einfach raus. Der Deckel von dem Topf ist abgenommen worden, er war immer da. Also er war 1988 Brasch meint vermutlich den 17. Oktober 1987 da, als die Skinheads die Zionskirche gestürmt haben und Kinder und Frauen verdroschen haben, vielleicht sicher im Auftrag der Staatsicherheit, da bin ich ganz sicher. Es haben sich nur die Vorzeichen geändert und es kommt raus, was eigentlich immer unter der Decke gehalten wurde, untern Teppich geschoben wurde oder so, das hat man in der DDR verdrängt, aber es war immer da. Ich würde gar nicht mal sagen, dass Antisemitismus so so stark gab, weil es gibt, es gibt in diesem Land hier nicht so viele Menschen jüdischer Herkunft aber es demonstriert sich an Ausländerhass, demonstriert sich an Hass gegen Polen, Hass gegen Vietnamesen, Hass gegen Leuten aus Mosambik, aus Angola der wird anders beantwortet, er differenziert sich mittlerweile gegen Leute, die eben so ne Nase haben, egal ob es Araber oder Juden sind, das ist vollkomen egal. Also er ist... er wird undifferenzierter in so fern, als die Leute, die das machen, also die jüdische Gräber, Grabstellen beschmutzen und Hakenkreuze draufschmieren, gar nicht wissen, was sie da eigentlich tun.
00:17:24 Pátek: Aber fühlst Du Dich von Rechstradikalismus mehr bedroht oder weniger, als in der DDR? In Bezug auf die Veränderung meine ich.
00:00:00 Brasch: Nein, sie machen sich nicht die Gedanken darüber, das ist doch das, was ich eigentlich erreichen will, was ich auch versucht habe zu erreichen die letzen drei oder vier Tage, nur wie kann man das vermitteln? Wie kann man Leute ins Gespräch miteinander bringen, ja? Als die Polizei in Leipzig den, diesen Rechtsradikalen erschossen hat Mike Polley kam am 3. November 1990 während der Ausschreitungen rund um das Oberliga-Spiel zwischen dem FC Sachsen Leipzig und dem FC Berlin durch Schüsse eines Polizisten ums Leben., ging die ersten drei Tage immer um, ja, die waren eingekesselt, die Polizei war eingekesselt, ich hab das nicht geglaubt und drei Tage später stellte sich raus, jetzt mal ganz weg von jeder Politik, ob rechts oder linksradikal; sie haben den Leuten in den Rücken geschossen. Da ist es mir wurscht, egal das geht um Menschen, ne? Ob die die Überzeugung, oder die Überzeugung haben ist mir in dem Moment, wo es um Mord geht, egal. Und eine Woche später soll hier angeblich nach dem Fußballspiel eine friedliche Demonstration gelaufen sein, vom Stadion zum Brandenburger Tor, ja, die war nicht friedlich, die löste sich auf, als die Polizei weg war und danach haben sie 28 Autos auf-, aufgedroschen, so wie sich die Leute so ausdrücken.
00:01:23 Peck: Fühlst du dich selber bedroht von Rechstradikalismus? Oder mehr bedroht jetzt als früher?
00:01:30 Brasch: Von Rechtsradikalismus?
00:01:32 Peck: Also allgemeine, also Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Rasismus, oder so?
00:01:37 Brasch: Also ich habs am eigenen Leib noch nicht gespürt, momentan fühl ich mich von der Polizei bedroht. Und Polizei hat ja angeblich keine Meinung zu haben, sondern ist ja nur Befehlsausführer und das hatten wir in der deutschen Geschichte schon öfter. Wenn ich weiß da sind 500 Leute am Frankfurter Tor, die, na gut, o.k., dann machen sie ein paar Wahlplakate platt oder so, aber da sind 6.000 Polizisten und das ist ne alte Weisheit, das hat Platon schon gesagt: Im Staat, die grössten Sklaven eines Staates sind Richter, Polizisten und Berufsoldaten, weil, die dürfen nicht denken, das ist ihnen verboten. Und dass da ein radikales Potential von rechts oder von links, egal, würde ich jetzt wirklich mal sagen egal, sich dann das Privileg nimmt, auch nicht denken zu dürfen, ist im Prinzip eine, der Nidergang einer Ordnung im Kopf, einer Ordnung, die Menschen mal gebaut haben. Die ihnen eigentlich menschenfreundlich sein sollte. Also Schiller schreibt in Don Carlos: der Staat muss untergehen, wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet. Toller Satz.
00:03:06 Pátek: Aber die DDR-Polizei war nicht anders, ne?
00:03:10 Brasch: Die DDR-Polizei war genauso, also am 7. Oktober war sie unsicher, ich hab den Leuten gegenüber gestanden, genauso wie ich es vor zwei Tagen den Westbullen Polizisten gegenüber gestanden hab, sie waren unsicher und ein Teil der Leute hat auch versucht, ich verteidige jetzt die Bullen Polizisten nicht, aber es waren noch Leute, die kannten das hier irgendwo. Das war so, sie haben etwas verteidigt, was es gar nichts mehr gab. Das macht sie nicht unbedingt symphatischer, aber es war ‘nen Aufuhr weil es nicht mehr anders ging und das haben die auch begriffen, das haben auch die Bullen Polizisten begriffen. Nur nen Teil dieser Bullen Polizisten steht heute wieder da. Sie haben jetzt neue Uniform und das heißt sie haben eine neue Identität, nämmlich mit ihren neuen Klamotten.
00:04:10 Peck: Heißt das, also wie du das so beschreibst, dass man vielleicht sagen könnte, dass du jetzt mehr Angst oder mehr Ängste haben musst hier zu leben, ob du dich zu Hause fühlst oder nicht aber dass man noch mehr Angst haben muss, hier zu leben.
00:04:24 Brasch: Nöö, das glaube ich nicht. Also, naja, das auch ne Frage, die ich zweimal beantworten müsste. Es gab natürlich auch nen Mut, weil ein Teil dieser jugendlichen Besetzer, der Großteil, egal, ich frag jetzt nicht mal woher sie kommen, ob sie aus Kreuzberg kommen oder ausm Prenzlauer Berg, nen Fantasiepotential hat und so und damit solidarisiere ich mich, die wollen anders leben, sie wollen nicht eingezwängt sein, egal wie das, wie der Staat heißt, ob er DDR heißt oder Bundesrepublik. Sie wollen einfach ihr Ding machen, ihre, ihre, sich selber verwirklichen und da habe ich Mut, also mit diesen Leuten hab ich Mut oder für diese Leute habe ich Mut und ich versuch sie auch so gut es geht zu schützen, wenn ichs kann. Angst hab ich davor, dass, dass es so eskaliert, dass man überhaupt nicht mehr in der Lage ist, ne Identität mit sich selber zu finden. Das ist ne schwierige Frage, also Angst haben, natürlich hab ich körperliche Angst, ne?
00:05:35 Peck: Aber ich meine nicht nur in Bezug auf diese, also momentane Situation, aber allgemein seit der Wende und seit dieser Wiedervereinigung, ob man als ehemalige DDR-Bürger vielleicht mehr Angst haben muss, in diesem neuen Deutschland in diesem neuen Staat zu leben?
00:05:48 Brasch: Weiß ich nich Jeff, das musst du andere Leute fragen, also, weil die Identität hab ich nicht, also ne, die ist mir egal, ich geh im Dezember nach Frankreich und da gehts mir bestimmt nicht besser und die französischen Polizisten knüppeln auch Kinder nieder, gleich, synchron, Schüler ne, die einfach nur Lehrer haben wollen, also die haben ja nun noch minimale Forderungen da.
00:06:13 Peck: Aber könntest du dir jetzt vorstellen, dich vorstellen, dass du irgendwo anders jetzt leben würdest?
00:06:16 Brasch: Ja sicher, klar. Es ist für mich auch ne schwierige Frage, die zu beantworten. Vielleicht werde ich hier noch gebraucht, vielleicht kann ich hier noch irgendwas machen, also vielleicht ist es schon wieder feige wieder zu gehen, es ist vielleicht nicht so, äh die DDR zu verlassen, ist ja gar nicht, aber da sind vielleicht Leute, die, den man vielleicht helfen kann. Ne, also das sind ja immer so Sachen oder Utopien, die man so im Kopf hat, die man, wenn man die entfernt aus dem Kopf, dann kann man sich eigentlich gleich nen Strick nehmen.
00:06:49 Peck: Aber die Idee weg zu gehen ist vielleicht jetzt für dich eher möglich als vielleicht vorher, als du noch in der DDR lebtest.
00:06:58 Brasch: Oh, die Idee hatte ich in der DDR auch schon, die hatte ich 1976 auch. Ich finde man sollte auch die Chance jedem Menschen einräumen, da zu leben, wo er gerne lebt. Also ich weiß nicht, ob es Paris sein muss, Paris ist ziemlich langweilig, letztlich. Aber ob es nicht so ne Stadt wie London sein kann, oder New York, oder wo man anonymer ist, hier ist man nicht mehr anonym. Leider, das wird ne sehr sehr große Stadt werden, Berlin. Nur es begreifft keiner, dass das ne Chance ist, dass Berlin wirklich ne schöne Stadt sein kann.
00:07:38 Peck: Also Du siehst es als eine Chance denn, was jetzt... Brasch: Es war eine Chance, es war eine Chance und sie wird, ich glaube, sie wird jetzt in diesen Tagen ganz kläglich vergehen.
00:07:52 Peck: Hast Du vielleicht eine Prognose wie das vielleicht jetzt hier weiter wird oder ich meine das, wie das in den nächsten Jahren in Berlin oder in Deutschland vielleicht, wie es weiter wird?
00:08:02 Brasch: leise Weiß ich nicht... Also ne Prognose... ich glaube die Chance, die sich im Oktober aufgetan hat, wo Leute wirklich selber was in die Hand genommen hätten für sich, ist schon am 4. November gestorben und am 9. sowieso. Das heißt, dass eine Minderheit, eine denkende Minderheit, vielleicht, die Chance gehabt hätte, sowas wie Ökonomie, Politik, Kultur, Umwelt, selber zu bestimmen, das ist durch die Mehrheit kaputt gemacht worden. Der Wechsel von der Losung „Wir sind das Volk“ zu der Losung „Wir sind ein Volk“ ist zu nahtlos gegangen. Und so, und die, das war eine Chance, also das war, räuspert sich die hat ein Volk einmal in zweitausend Jahren. Und die ist vergeben worden.
00:09:06Pátek: Meinst Du, gehörst du auch zu diesem ein Volk?
00:09:12 Brasch: Neee lacht, bestimmt nicht, nein, bestimmt nicht, ich glaube das habe ich vorhin ziemlich deutlich gesagt, ne? Also es gibt ne schöne, es gab eine schöne Losung am 4. November bei der Demonstration, was für mich so der Abschied einer sogenannte Revolution war, das war nämmlich keine, in Deutschland gibt es keine Revolution, die letzte war 1525 beim Bauernkrieg, alle anderen sind verlorengeangen oder waren, sind auf der Hälfte stehen geblieben. Da war ein Mann, der hatte ein Plakat und da stand darauf: ich bin Volker lacht, das ist es, ne, und dann, es war unheimlich viel Phantasie noch im 4. November zu sehen, bei der Demonstration. Also ich bin unter der Losung gelaufen: Asterix ins Politbüro ja, und dieses Potential an, an Phantasie hätte, hätte die Phantasie die Macht haben müssen an dem Tag, dann wäre es gut gegangen, vielleicht. Und da muss ich lachen. Also wenn man mit Lachen Macht vergibt, also sie eigentlich gar nicht haben will, dann, dann ist die Chance da, dass man miteinander leben kann und das beweist die Geschichte, das beweist die deutsche Geschichte, das beweist unsere jüdische Geschichte, dass es eigentlich immer möglich war mit benutzt man das dumme Wort Humor, so Dinge zu lösen, das habe ich auch mit den Polizisten versucht, das ist mir leider nicht gelungen, vorgestern. Ja. Ein Satz noch dazu, ist ein englischer Satz: A german joke is nothing to laugh: Ein deutscher Witz ist nichts zum Lachen, wirklich nicht mehr. Und das ist mir wieder klar geworden.
Interview mit Peter Brasch vom 16.11.1990, veröffentlicht in: Jüdische Geschichte[n] in der DDR, <https://ddr.juedische-geschichte-online.net/quelle/source-4> [09.10.2024].