Bei dem hier geführten Interview handelt es sich um ein Gespräch mit Peter Brasch (Brasch), welches vermutlich am 11.09.1989 von Jeffrey M. Peck (Peck) in West-Berlin durchgeführt wurde. Ein weiteres Interview vom 16.11.1990 mit Peter Brasch knüpft daran an. Das hier gezeigte Video wurde im Rahmen der Produktion des Dokumentarfilms „Chronik einer Rückkehr. Lebenswege deutscher Juden in der DDR“, welcher 1993 veröffentlicht wurde, aufgenommen.
00:00:00 Peter Brasch (Brasch): Ja. Und dass man, wenn man in so einem Staat groß wird – und wenn man überhaupt in einem Staat groß wird, befragt wird, was er soll? Und dann kommt man automatisch auf die Frage: Stellt sich ein Staat mal selber infrage? Und eine Gesellschaft, die sich nicht selber infrage stellt – irgendwie – die ist irgendwo auf dem Weg auch zu verkommen – wenn sie von außen ständig infrage gestellt wird. Sie muss sich selber infrage stellen und sich ständig... und das ist das Ideal, was geblieben ist von meiner Erziehung ist: Kommunismus ist was, was ich ständig selber infrage stellen muss. Und wenn ich in einem Haus wohne und das Haus ist alt, dann muss ich sehen, dass ich die Stellen nicht nur irgendwie ausbessere, sondern da muss ich sie konsequent einreißen und neu bauen, wenn ich merke, da stimmt was nicht. Und mit dieser kritischen Haltung bin ich aufgewachsen und die habe ich immer noch, ne? Schnitt
00:00:51 Brasch: Na ja, es gibt... es gibt bei vielen... bei vielen Immigranten gab es dann die Haltung, nachdem sie aus dem Krieg wieder zurückkamen und das auch vergessen wollten, was da war – nicht vergessen wollten, aber es nicht der wesentlichste Punkt war. Der wesentlichste Punkt war der Widerstandskampf, was ich auch verstehe. Und sie verstanden sich eben als Kommunisten und sagen, das ist abgelegt, das ist unsere Herkunft, wir haben diese Religion nicht mehr. Dadurch entsteht eine Verdrängung von etwas, ob sie nun religiös erzogen waren oder nicht. Als ich das dann erfahren habe, war es für mich unheimlich interessant, dass ich was anderes bin als die anderen – um mich herum – als die Kinder, mit denen ich in die Schule gegangen bin. Ich war eben kein Deutscher und ich war nicht mit dran schuld an dem ganzen Scheiß, sondern ich war eben irgendwas anderes. Ich war ein Opfer von Opfern oder so – oder ein Kind von Opfern. Daraus kann man sehr leicht eine Mode machen und diese Mode passte mir nicht, weil da taten mir die anderen Leute einfach leid, weil die waren genauso reingeboren in diesen Staat wie ich und konnten für die für den Zweiten Weltkrieg genauso wenig wie ich. Und dieses Gefühl, ständig einem Volk anzugehören, was den ganzen Dreck da angestellt hat und Auschwitz auf dem Gewissen hat, muss man ja nicht diesen Kindern anlasten. Und dann bin ich ganz schnell, nachdem ich mich mit jüdischer Geschichte beschäftigt habe, dahintergekommen, dass es auch anderen Faschismus gibt. Und es gibt auch jüdischen Faschismus. Und dadurch relativierte sich für mich dann das Problem. Ich fand das unheimlich interessant und spannend, diese Geschichte zu studieren. Aber ich fand es dann genauso wichtig zu sagen, es gibt Armenier und es gibt Palästinenser, die eine Minderheit darstellen in anderen Ländern oder in Israel oder so. Das mal generell einfach zu befragen. Und, dass die Folge davon ist, dass zum Beispiel so eine Arbeit hier entsteht. Es ist nicht... es geht nicht darum, irgendeinen „Ismus“ oder ein „Ist“ zu sein, sondern irgendwie rauszukriegen, wer man selber ist. Und da finde ich es also viel spannender, nicht zu sagen: „ich bin ja Jude und das“ und „ich bin ein Kind von Juden“, sondern ich bin einfach derjenige, der aus diesen und diesen Verhältnissen kommt. So, das ist mein Verhältnis dazu.
00:03:15 Interviewer (unbekannt): Gut. Und die letzte Frage: Hast du das schon angeschlossen? Kannst du in einem Satz dann sagen, das rede ich so...
00:03:25 Jeffrey M. Peck (Peck): Was du bist.
00:03:26 Interviewer (unbekannt): Was du bist, an...
00:03:27 Brasch: Was ich bin?
00:03:28 Interviewer (unbekannt): Ja.
00:03:29 Peck: Ja, also in Bezug auf... Schnitt
00:03:30 Brasch: Unverständlich
00:03:31 Interviewer (unbekannt): Oder zwei Sätze.
00:03:32 Brasch: Ja, gut. Ich bin erstens Bürger der DDR. Zweitens bin ich Deutscher. Drittens bin ich Jude. Aber die Reihenfolge stimmt so. Schnitt
00:03:41 Brasch: Ja, na das Wort Heimat ist einfach missbraucht worden in Deutschland. Also in der Nazizeit: Erstens Heimat und „Heimat, deine Sterne“ Lied von Rudi Schuricke – schönes Lied, ne? Von 1943. Und wenn man so einen Krieg verloren hat, dann hat man das verloren. Es gibt einen Riss in dieser Geschichte, das ist der erste Punkt. Deshalb ist dieses Wort kaum noch über die Lippen zu kriegen. Und dann ist es natürlich schwierig in der Geschichte eines Landes wie, wie, wie, wie Deutschland zu sagen, das ist so eine Heimat, das war immer zersplittert, das gab es 70 Jahre insgesamt, von 1871 bis 1945. Da kann man auch sehr schwer von Heimat sprechen. Jetzt ist dieses Land geteilt, ja? Also das ist eben das Schwierige, es zu beschreiben. Für einen Franzosen ist es viel einfacher, ja? Nur der hat dieses Wort nicht. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass er Franzose ist. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass ein Pole Pole ist. Es gibt... es ist die Selbstverständlichkeit, dass ein Russe Russe ist. Der hat ein Wort, das heißt Rodina. Und das Wort Rodina heißt nicht einfach nur Heimat, sondern es ist das Stück Erde, wo jemand herkommt. Und dieses Stück Erde müssen wir ständig befragen, ne? Wir haben dann vielleicht ein anderes Verständnis davon als ein Bundesbürger, aber ich glaube, auch ein Bundesbürger hat nicht dieses Wort so leicht parat. Es sei denn, er verdrängt ständig die Geschichte. Das ist das, was ich zu dem Wort sagen kann.
00:05:09 Interviewer (unbekannt): Gut.
00:05:09 Brasch: Oder... Schnitt
00:05:10 Interviewer (unbekannt): Gut. Und ihn anschauen.
00:05:12 Brasch: Ja, für die DDR war das eine ganz klare Selbstverständlichkeit, diese antifaschistische Politik zu behaupten. Das war ein großer, großer Komplex: Kommunisten, Sozialdemokraten, Juden und diese... es wurde nicht differenziert. Jetzt wird es differenziert. Welchen Widerstand haben die Juden geleistet oder welchen nicht? Damit ist von Anfang an konsequent umgegangen worden. Hier nicht. Hier ist es ganz schnell eine Mode geworden. Also es wurde dann Holocaustfilme vor vier, fünf Jahren und so... da war es plötzlich das Wichtigste... war die Vernichtung der Juden. Also was verdrängt wurde über 30 Jahre lang, war dann plötzlich ganz, ganz wesentlich und war das Einzige. Und das ist auch falsch. Also wie die Vernichtung der Juden zu verdrängen – wie es zeitweise eben geschehen ist – oder zu sagen, der Widerstand bestand eben nur aus den Juden, das ist eben falsch, ne? Hier erlebe ich weniger Bewusstsein von Geschichte. Die Leute wissen weniger über Hitler, sie wissen weniger über die Zeit 33 bis 45. In der DDR ist es den Leuten richtig in der Schule beigebracht worden. Allerdings, muss ich sagen, ist so ein Phänomen wie Skinheads in der DDR genauso präsent. Also ist da was falsch gemacht worden. Es ist den Leuten nämlich nur gesagt worden, ohne dass sie es verstanden haben, was da lief, ja? Und dadurch, dass das ein internationales Problem ist – Skinheads, denke ich, dass da eine Bewältigung von Vergangenheit einfach nicht richtige Arbeit geleistet worden ist, ja? Also was heißt richtige Arbeit geleistet worden, es ist einfach entweder zu mechanisch damit umgegangen worden oder gar nicht. Schnitt
00:07:15 Brasch: Könnt ihr reinschneiden. Es gibt ein Stück von Heinar Kipphardt, das heißt Bruder Eichmann. Und Bruder Eichmann als Nazi, ja? Also den Bruder Eichmann, das heißt also, das ist ein Mensch und nicht irgendein ein Monster. Und da sind Szenen drin über Sabra und Shatila Flüchtlingslager im Libanon, in denen 1982 ein Massaker an palästinensischen Flüchtlingen verübt worden ist. Und die betreffen ganz konkret Scharon. Und da benennt er es so. Und so ist es. Also das noch mal zur Illustration. Ich bin nicht gegen Israel oder ich bin nicht für die Palästinenser, sondern ich bin dafür, dass man... dass, dass da zwei Völker miteinander leben können, ganz normal. Punkt.
00:07:58 Interviewer (unbekannt): Entschuldige, wenn... Schnitt
00:07:59 Brasch: Das Problem kann es gar nicht geben, weil, weil, ich weiß nicht, wie viele Juden das noch gibt – oder Menschen jüdischer Herkunft – in der DDR. Die jüdische Gemeinde ist sehr klein. Also das Problem gab es nie, dass es eine Minderheit war. Das gab es nicht, dazu waren viel zu wenig übriggeblieben. Und die, die da waren, haben sich doch engagiert, aber sie haben sich nicht als Juden engagiert, sondern als Leute, die dieses Land da mit aufbauen. Und jetzt sicher gibt es diese Tendenz unter anderem auch vielleicht ein bisschen deswegen, weil es modern geworden ist, nun darauf zu pochen, dass man jüdischer Herkunft ist oder so. Aber es gab da kein Minderheitenproblem. Es gibt... Schnitt
00:08:36 Brasch: Ja, gibt es: Sorben, ja? Aber das gab es nicht. Schnitt
Interview mit Peter Brasch vermutlich vom 11.09.1989, veröffentlicht in: Jüdische Geschichte[n] in der DDR, <https://ddr.juedische-geschichte-online.net/quelle/source-39> [13.11.2025].